Hi..
Alex hat mich per PN gebeten, hier mal reinzuschaun und zur "Aufklärung" beizutragen - vermutlich weil er weiss, das ich mich wohl intensiver und länger als die meisten mit diesem Thema befasst habe.
Prinzipiell steht hier in diesem Thread schon sehr viel "richtiges".
Das Wort Kreiselpräzession ist gefallen, und das ist sicherlich ein richtiger Ansatzpunkt. Wenn ich ein Drehmoment auf einen Kreisel ausübe, d.h versuche, seine Kreiselachse zu kippen, dann wird die Reaktion des Kreisels nicht in der Richtung auftreten, in der ich ihn zu bewegen versuche, sondern genau SEITLICH dazu, im Idealfall 90° verschoben. Diesen Effekt nennt man wie erwähnt Präzession, er ist allen Kreiseln, auch unserem Hubschrauberrotor, gemein. Der Blatteinstellwinkel (meinetwegen für nen rechtsdrehenden Heli und Nickausschlag nach VORNE) muss deshalb am rücklaufenden Blatt (rechts) am größten sein. Es erzeugt dort kurzfristig die größten, auf der gegenüberliegenden Seite die kleinsten luftkräfte, insgesamt also ein Drehmoment auf den Rotor nach LINKS. Infolge der Präzession erfolgt aber die REAKTION des Rotors, d.h. das Neigen der Rotorkreisscheibe nach VORNE. Das lässt sich auch im Stand am Boden sehr gut beobachten.
Claus schreibt, er schiebt diese 90° zwischen Eingabe und Reaktion auf kreiselkräfte - genauer eben die Kreiselpräzession. Richtig. Es ist aber GENAUSO richtig, dass das durch TRÄGHEITSkräfte erzeugt wird. Ich möchte deshalb folgende Betrachtungsweise einführen, welche gleichwertig, für Detailbetrachtungen sogar besser geeignet ist als das Denken in Kreiseln. Kreisel sind irgendwie nicht intuitiv in ihrem Verhalten.
Wir betrachten das ganze mal aus Sicht des drehenden Rotorblattes, setzen uns also auf den Rotormast und rotieren mit.
Jetzt haben wir zunächst mal eine starke Fliehkraft nach außen - viiiiiel Stärker als der Auftrieb, den das Blatt bringt. Das Blatt zieht´s also nach aussen. Wenn wir es jetzt (irgendwie) nach oben bzw. unten auslenken könnten (das nennt man die SCHLAGbewegung), dann will das Blatt zurück in die Horizontale. Es würde um die Nullage herum eine Schwingung durchführen, ähnlich wie ein hängendes Pendel, nur mit sehr viel stärkerer Dämpfung. Man kann jetzt rechnerisch nachweisen, dass die EIGENfrequenz dieser Pendelbewegung unter gewissen Umständen (komme ich nachher noch drauf) GLEICH ist wie die Drehfrequenz (Drehzahl) des Rotors. Dieser Nachweis ist etwas aufwendig, deshalb spar ich mir das, aber ihr glaubt mir das bestimmt
Ok, wir haben also ein schwingendes System, welches in seiner Eigenfrequenz schwingt. Das nennt man deshalb einen Resonanzrotor.
unsere zyklische Blattverstellung agiert jetzt (im mitdrehenden bezugssystem) als eine wechselnde Auf- und Abwärts-Anregung, welche ebenfalls mit genau der Drehfrequenz des Rotors erfolgt. Jeder, der sich mal mit schwingungsfähigen Systemen befasst hat weiss, dass bei Anregung eines Schwingers mit seiner Resonanzfrequenz zwischen AnregungsKRAFT und AuslenkungsAMPLITUDE eine Phasenverschiebung von 90° besteht. Das lässt sich rechnerisch schon einfacher beweisen als der o.g. Zusammenhang, aber auch DAS spar ich mir. Jedenfalls Schubladendenken: Anregung kommt 90° VOR der Reaktion, und zwar infolge der TRÄGHEITSkräfte des massebehafteten auf und ab schlagenden Blattes. Genau DA sind die von Claus verneinten Trägheitskräfte!
Dieses Prinzip gilt für ALLE linearen Schwinger (Feder-masse, Pendel bei kleinen Auslenkungen, aber auch elektrische Schwingkreise...)
Eine periodische Schlagbewegungs-Schwingung des Rotorblattes vom mitdrehenden Beobachter aus gesehen sieht aber von AUSSEN (pilotenstandort) aus wie eine gleichmässige Neigung der Blattspitzenebene.
Wir haben also ein- und denselben Effekt einmal per Kreiselpräzession und einmal per Pendelschwingung erklärt.
Warum aber bevorzuge ich die Version mit dem Pendel? Ganz einfach: man liest sehr viel über "virtuelle Taumelscheibenverdrehung" etc. Es gibt also Fälle, in denen die Reaktion des Rotors NICHT exakt 90° später erfolgt, sondern anders (früher... Taumelscheiben müssen ggf. immer so verdreht werden, dass der Winkel zwischen Anregung und Schlagreaktion KLEINER aöls 90% wird.)
Warum ist das so? Die Resonanz (schlag-Eigenfrequenz=Drehfrequenz) gilt NUR dann, wenn
a) das Rotorblatt am Rotormast FREI SCHLAGEND, ohne die Federwirkung eines "Dämpfergummis" angebracht wird
b) die effektive Achse, um die das Blatt schlägt, GENAU auf der Rotorachse liegt. Das nennt man "Schlaggelenksabstand Null" im Fachjargon
c) der Rotor keinen Konuswinkel hat, d.h. der Schub gegenüber den Fliehkräften vernachlässigt werden kann (das ist bei "uns" kein Problem, bei den echten Helis aber schon)
Punkte a) und b) führen dazu, dass die Schlageigenfrequenz GRÖSSER wird als die Drehfrequenz, der rotor also sub-resonant angeregt wird und damit auch einen KLEINEREN Phasenwinkel als 90° zwischen Einstellwinkeländerung und SChlagreaktion hat.
Punkt a) ist somit bei uns definitiv sehr wichtig. Das bedeutet nämlich, je härter die Gummis, desto größer muss evtl. unsere virtuelle Taumelscheibenverdrehung werden, damit das alles passt.
Punkt b) kommt bei sehr weichen Rotorblättern zum Tragen (der "effektive" Schlaggelenksabstand ist größer Null), oder wenn wir ein weiter außen liegendes Schlaggelenk haben anstatt der traditionellen, durchgehenden Blattlagerwelle.
Warum aber lieber Pendel als Präzession in der Denklogik?
-Ich habe bei der Präzession mehr Schwierigkeiten mir zu merken in welcher Richtung die Phasenlage von 90° auftritt.. Das Trägheitsargument der Pendelbewegung m,acht mirs da leichter - die Reaktion kommt NACH der Anregung
-Ich kann auch Phasenwinkel kleiner 90° damit erklären - geht zwar auch bei Präzession, aber dann wirds noch un-intuitiver
Damit haben wir also den Zusammenhang zwischen zyklischer Steuerung und der Neige-Reaktion der gesamten Blattspitzenebene auf zwei verschiedene Weisen (Präzession und Pendelprinzip) beschrieben. Ok. Was macht da der Gesamthubschrauber draus?
Da hat Schlüter weitgehend recht mit der Betrachtung, dass der resultierende Schub senkrecht auf der (geneigten) Blattspitzenebene steht (gilt zwar nur fürs Schweben, aber das soll uns mal zunächst genügen)
Es gibt zwei Mechanismen, wie sich das auswirkt:
1. Die STEIFIGKEIT des Blattanschlusses. je härter die Kopfgummis, umso mehr freies Nick-Drehmoment üben die unterschiedlichen Kräfte der schlagenden Rotorblätter auf den Rotorkopf aus. Es ist deshalb schlicht FALSCH, die Kopfgummis als "Dämpfungsgummis" zu bezeichnen - sie sind schlichtweg FEDERN - wir wollen sie maßgeblich für die Federwirkung, nicht für ihre dämpfende Wirkung!Ich habs aber inzwischen aufgegeben, diesen Nomenklaturfehler aus den Köpfen der Leute wegpredigen zu wollen.
2. Der Schubvektor kreift OBERHALB des Hubschrauberschwerpunktes an. Wird er geneigt, so ergibt sich ein Drehmoment, welches die Nase nach unten drückt.
Das führt zu interessanten Ergebnissen:
Der Anteil 2 hängt sehr stark vom Rotorschub ab! Und sein Vorzeichen kehrt sich im Rückenflug um! Damit allein könnten wir also keinen kunstflugtauglichen Heli steuern. bei manchen "großen" Hubschraubern gibt es aber NUR diesen Anteil, da die Blätter MITTIG und FREI SCHLAGEND am Rotormast angebracht sind (JetRanger und Co). Die sind also NIIIIIIIMALS rückenflugtauglich, da in Rückenlage vollständige Steuerumkehr erfolgen würde
Anteil 1 hat KEINE Vorzeichenumkehr, hängt fast nicht vom Schub ab und ist bei "uns" sehr stark dominant. Er macht gut 90% der Steuerwirkung im Schwebeflug aus. Das bedeutet aber umgekehrt, dass wir im normalen Schwebeflug 90% (Anteil1)+10%(Anteil 2)=100% haben, im RÜCKENSCHWEBEN aber 90% (Anteil1)-10%(Anteil 2)=80% Steuerwirkung. Das ist im Übrigen EINER der Gründe, warum manche Leute das Gefühl haben, ihr Heli schwebe auf dem Rücken stabiler als in Normallage... man hat nur 80% Steuerwirkung und muss entsprechend mehr ausschlag geben, um die "stabilität" zu überwinden.
So, ich hoffe, ich hab euch damit nicht völlig erschlagen. Ich neige mit solchen Postings dazu, ein Threadkiller zu sein
weil danach irgendwie keiner mehr was schreibt. Gerne gehe ich auf Details näher ein, also bitteschön!
gruß
andi