Nur weil ich so gern t(h)e(rr)orisiere
betrachtet man nu einen Single-Blade-Rotor liegt der Schwerpunkt des Gegengewichtes fest vorgegeben - und da müßte der statische Schwerpunkt des Rotorblattes laufen, und das tut er nicht, sondern erheblich weiter außen im Umlauf, woraus eine Unwucht resultiert
Das ist so falsch. Die separaten Schwerpunktlagen von Gegengewicht und Rotorblatt können und DÜRFEN nicht gleich sein, da das Gegengewicht i.d.R. deutlich schwerer ist. Wären dann auch noch die Schwerpunktlagen gleich, dann wäre die Unwucht so groß dass sie nicht nur ein paar Vibs erzeugen würde, sondern definitiv Trümmer.
Ich darf mal etwas ausholen...
Stufe 1: statische Wuchtung (Starrkörperannahme)
Was zunächst mal (für die einfache, statische, rein massendynamische Wuchtung) gleich sein muss ist das Massenmoment erster Ordnung, das statische Massenmoment, Masse * Schwerpuntksabstand. Das ist genau der körperabhängige Teil, der in der Fliehkraftformel steht. Da die Massen nicht gleich sind, können auch die Schwerpuntksabstände nicht gleich sein. Diese Aussage ist identisch mit der Aufgabe, den GESAMTschwerpunkt in die Rotordrehachse zu bekommen. Dort aufgehängt müsste das Rotorsystem sauber auspendeln - deshalb statische Wuchtung, weil man sie ohne Drehung durchführen kann - und deshalb auch drehzahlunabhängig ist.
Stufe 2: umlaufender Auftrieb
Da wir nur ein Blatt haben, lässt sich der umlaufende Auftrieb gar nicht verhindern. Man kann nur dafür sorgen, dass er keine Auswirkung auf den Restheli hat. Der Auftriebs setzt außermittig an und würde jetzt ein umlaufendes Roll/Kippmoment auf den Hubschrauber ausüben. Die dadurch entstehenden Vibrationen wären zwar deutlich geringer als die, welche man ohne statische Wuchtung hätte, aber immer noch groß genug um für ernste Schüttelei zu sorgen. Um dies zu verhindern gibt es prinzipiell 2 verschiedene Maßnahmen, die das "richtig" machen:
a) entweder man sorgt dafür, dass das imlaufende Roll/Kippmoment nicht auf die Zelle übertragen werden kann indem man dort einfach ein Schlaggelenk vorsieht... dann stellt sich das Rotorsystem von selbst etwas schräg und bildet ein Gleichgewicht aus umlaufendem Moment infolge einseitigen Auftriebs und der Gegenwirkung der Fliehkraft von Blatt und Gegengewicht - das funktioniert weitestgehend drehzahl- und schubunabhängig, schränkt aber die Steuerbarkeit des Hubschraubers ein (da kein freies Mastmoment, völlig weicher Kopf)
b) oder aber man erlaubt die Momentenübertragung am Mast und baut die schrägstellung von vornherein fest ein, so dass sich Fliehkraftoffset und einseitiger Auftrieb kompensieren. Das ist aber sehr stark drehzahl- und schubabhängig und wird deshalb IMMER außerhalb des Auslegungspunktes für Vibrationen sorgen.
KEINER der mir bekannten Versuche im RC-Heli-Bereich verwendet die Methode a) konsequent. Fast alle belassen es bei einer (gedämpften, aber nicht völlig frei schlagenden) "gewöhnlichen" Aufhängung des Rotorsystems und handeln sich damit ein drehzahlabhängiges, umlaufendes Roll/kippmoment ein. Und genau da kommen dann die Vibrationen her.
Leider ist es damit noch nicht so ganz erledigt, denn es gibt weitere Effekte
Stufe 3: Elastizität im Rotorsystem.
Und wenn man das beachtet läuft der Kopf auch nicht nur bei einer Drehzahl rund sondern über den gesamten nötigen Bereich
Gerade wegen der Rotorblattelastizität bleibt das leider Theorie, da der Verlauf der Biegelinie (und damit die Massenverteilung) sehr stark drehzahlabhängig ist... weniger Drehzahl führt (bei gleichem Schub,d,h, mehr Pitch) zu stärkerer Durchbiegung, damit verschiebt sich der Schwerpunkt nach oben und nach innen -> Wuchtung ansatzweise im Allerwertesten.
Stufe 4: Noch mehr Aerodynamik - Nickmomente
Das habe ich ja in einem vorigen Posting schon mal beschrieben. Das Blatt erzeugt nicht nur einen umlaufenden Auftrieb (dessen Wirkung man gemäß Stufe 2 kompensieren könnte), sondern ein (je nach Profil, "Vorlauf" und momentanem Pitchwert unterschiedliches) Nickmoment, d.h. eine Drehtendenz um die Rotorblattlängsachse (spannweitig). Um diese Achse haben wir zwar ein Drehgelenk (im Blatthalter), dennoch kann dieses Moment dadurch nicht genullt werden, da es einfach durch das Anlenkgestänge auf die Taumelscheibe übertragen wird - damit "rutscht" es auch an sämtlichen dämpfenden Maßnahmen im Rotorkopf vorbei.
Dieses aufs Blatt wirkende Nickmoment hängt von so vielen Parametern ab dass eine exakte Nullung nicht für einen weiten Bereich von Flugzuständen weggefummelt werden kann, jedoch ist es vergleichsweise klein. Auch bei einem gewöhnlichen Zweiblattrotor tritt dieses Moment (jedoch in schwächerem Umfang) auf, und außerhalb des Schwebefluges haben die beiden Rotorblätter unterschiedliche Nickmomente und sind deshalb ebenfalls nicht 100% kompensiert. Insofern kann diese Sache in tolerierbaren Grenzen auftreten.
Wo bleibt dann die in diesem Thread genannte dynamische Wuchtung?
Der Begriff "dynamische Wuchtung" beinhaltet alles, was dazu dient, in einem Rotationszustand für Ruhe zu sorgen und ist deshalb im Gegensatz zur statischen Wuchtung eher ein empirisches Ding. Die Stufen 2-4 sind dort also enthalten.
Für "normale" Rotationskörper, d.h. solche mit ausreichend Symmetrien/Periodizitäten (wie 2-3-n-Blatt-Propeller, Motorläufer etc.) spricht man darüberhinaus gerne von dynamischer Wuchtung, wenn für die Einzelkomponenten (Blätter) nicht nur das Moment erster Ordnung m*r, sondern auch das zweiter Ordnung m*r^2 gleich ist, das sog. Massenträgheitsmoment. Dieses ist genau genommen keine einfache Zahl, sondern ein Tensor 2. Stufe und besteht aus 6 Komponenten (keine Panik, der Schwerpunkt ist ein Vektor und besteht eigentlich aus 3 Komponenten), und eine saubere, drehzahl- und richtungsunabhängige Wuchtung ist nur dann gegeben, wenn ALLE diese 6 Komponenten identisch sind.
Das ist für einen Einblattrotor mit Gegengewicht VÖLLIG undenkbar (es sei denn das Gegengewicht besteht aus einem absolut identischen Rotorblatt), für eine empirische dynamische Wuchtung aber auch gar nicht erforderlich.
Die Betrachtung ist damit leider immer noch nicht vollständig, es gibt da noch weitere Sekundäreffekte (und zugehörige Gegenmaßnahmen), welche ich hier aber mal vorläufig weglasse... ist jetzt schon so umfangreich dass es höchstens 2 oder 3 Leute überhaupt ganz durchlesen werden.
Wenns mal wieder länger dauert, schnapp dir ne Karotte - ist gesünder.
@Crizz: Die Theorie weicht von der Praxis nur dann ab, wenn sie Vereinfachte Annahmen trifft. Und da tut sie eigentlich IMMER. Was man alles NICHT voraussetzen darf, das habe ich versucht zu beschreiben.
gruß
andi